Ministerpräsidenten-Treffen In der Migrationskrise formieren sich die Länder jetzt gegen den Kanzler

Stand: 16.03.2023 | Lesedauer: 4 Minuten

Von Kristian Frigelj
Korrespondent

Auch eigene Parteifreunde und Verbündete wenden sich jetzt gegen Olaf Scholz (SPD): Der Ärger über mangelhafte Unterstützung der Länder durch den Bund bricht auf - gerade mit Blick auf die Migrationskrise. Der Ruf nach Milliarden-Hilfen kommt für den Kanzler zur Unzeit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Quelle: picture alliance/dpa

Der Ärger ist inzwischen so groß, da machen Parteifarben oder persönliche Beziehungen zur Bundesregierung keinen großen Unterschied mehr. Die 16 Landesregierungen - ganz gleich, ob von SPD, Union, Grünen oder Linken geführt - klagen über einen zu zögerlichen Bund bei der Bewältigung der aktuellen Krisen. Mit dieser grundsätzlichen Unzufriedenheit trafen sich am Donnerstag die Regierungschefinnen und -chefs zur Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) in Berlin.

Am frühen Nachmittag traten dann Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als MPK-Vorsitzender und dessen Stellvertreter, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), in auffälliger Einmütigkeit vor die Presse. Weil war im Ton etwas konzilianter gegenüber der Bundesregierung von Kanzler und Parteifreund Olaf Scholz (SPD) und lobte, dass im vergangenen Jahr viel geschafft worden sei. Wüst drückte sich harscher aus und monierte etwa die "Streitigkeiten" in der Ampel-Regierung.

"Wir brauchen Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern"

Die Ministerpräsidenten der Länder beraten den Umgang mit den steigenden Flüchtlingszahlen. "Die Kommunen sind am Limit", sagt NRW-Ministerpräsident Wüst. Er erklärt, was er jetzt von Kanzler Scholz erwartet und warum der Gipfel im Mai eigentlich zu spät kommt.
Quelle: WELT

MPK-Chef und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, l.) sowie Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD)
Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Doch das gemeinsame Signal war eindeutig: Vom Bund muss mehr Geld und mehr Tempo kommen. Neben den hohen Energiepreisen für Unternehmen und Stadtwerke und der notwendigen Beschleunigung bei Planung und Genehmigungen ging es vor allem um die Finanzierung und Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und von Asylzuwanderern. "Wir sind der festen Überzeugung, vom Bund muss in dieser Hinsicht mehr kommen", sagte Weil. Man müsse gegen Ende des ersten Quartals 2023 feststellen, "dass die Sorgen nicht kleiner, sondern größer werden".

Allein bei den Erstanträgen von Asylbewerbern gebe es eine Steigerung von etwa 76 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Man sehe "mit Aufmerksamkeit und Sorge auf die Entwicklung der nächsten Monate", und die Kommunen hätten "echte Probleme" bei der Unterbringung.

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Scholz war bei dieser Runde nicht dabei, weil es sich nach den Worten Weils um eine "normale" Gremiensitzung handelte. Doch Scholz sandte am Morgen mit seiner Regierungserklärung im Bundestag eine Botschaft ans Länder-Gremium: Der Kanzler erinnerte daran, dass der Bund Ländern und Kommunen 2022 mehr als 3,5 Milliarden Euro gezahlt habe, in diesem Jahr würden 2,75 Milliarden fließen.

Außerdem könnten ukrainische Flüchtlinge Bürgergeld bekommen. "Das bedeutet, dass der Bund den allergrößten Teil der Kosten für Unterkunft und Verpflegung trägt", betonte Scholz und setzte hinterher: "Seiner Verantwortung wird der Bund gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden auch weiterhin gerecht werden."

Milliarden-Forderungen an den Kanzler

Bei den Ukraine-Flüchtlingen mag eine solche Darstellung noch zutreffen, doch Länder und Kommunen nehmen inzwischen zusätzlich überwiegend Asylbewerber aus anderen Staaten auf, und da sieht es doch ganz anders aus.

Nach Angaben aus den Bundesländern ist der Bundesanteil an der Finanzierung deutlich gesunken; auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015/2016 beteiligte sich der Bund mit 40 Prozent an den Kosten, nun sind es etwa in NRW gerade noch 16 Prozent. Die Länder wollen eine "Fifty-fifty-Finanzierung" erreichen, also eine Erhöhung auf 50 Prozent Bundesanteil.

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NRW-Ministerpräsident Wüst rechnet mit Kosten in Höhe von 3,7 Milliarden Euro allein in seinem Bundesland für dieses Jahr. Die Finanzhilfen des Bundes lägen bisher bei 600 Millionen Euro. Es gehe, so Wüst, darum, "dass wir zu einer fairen Lastenverteilung kommen". MPK-Chef Weil machte eine noch größere Rechnung auf: Die Länder gingen davon aus, dass sie insgesamt mehr als 16 Milliarden Euro im Zusammenhang mit der Unterbringung von Migranten aufbringen müssen, deutlich mehr als bisher.

Diese Zahlen machen die Herausforderungen deutlich, vor denen Bund, Länder und Kommunen stehen. Am 10. Mai kommt die MPK zu einer Sondersitzung mit dem Kanzler zusammen. Bis dahin wird auch die Mai-Steuerschätzung für das gesamte Jahr erwartet.

Scholz steckt in einer verzwickten Lage: Zum Streit in der Ampel über Finanzmittel und zu den Begehrlichkeiten der Ressortkollegen im Bundeskabinett kommen nun die Milliarden-Forderungen der Länder und Kommunen hinzu. Neben der Finanzierung mahnen die Länder auch mehr Hilfe des Bundes bei der Unterbringung an.

So kritisierten sie, dass das Angebot bei den Liegenschaften bisher "unzureichend" sei. Die Belegung von Turnhallen soll vermieden werden, auch um die gesellschaftliche Akzeptanz nicht zu gefährden, deshalb dringen die Länder darauf, dass Unterbringungskapazitäten dauerhaft vorgehalten werden.

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Flankierend sehen die Länder auch die Notwendigkeit, Personen ohne Bleiberecht effektiver zurückzuführen. Die Länder drängen den Bund, mit Herkunftsstaaten stabile und praxiswirksame Vereinbarungen über die Rücknahme ihrer Staatsangehörigen abzuschließen und umfassend und konsequent auf die tatsächliche Umsetzung hinzuwirken.

Auf europäischer Ebene seien weitere Anstrengungen erforderlich, um die Kontrolle und den Schutz der EU-Außengrenzen wirksamer auszugestalten. Es müsse zudem eine verbindliche Vereinbarung zur Aufnahme von Migranten zwischen allen Mitgliedstaaten getroffen und "ein solidarisches Verteilungssystem" erreicht werden. Denn eines wurde in der Beratung ebenfalls klar: Die Unterbringung von Flüchtlingen bleibt eine Daueraufgabe.


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